Deutsche Meisterschaft 1954
Nach dem Gewinn der ersten Deutschen Meisterschaft im Jahr 1938 gelingt Hannover 96 am 23. Mai 1954 der zweite Erfolg: Im Hamburger Volksparkstadion erkämpfen sich die Roten gegen den 1. FC Kaiserslautern den zweiten Meistertitel der Vereinsgeschichte.
Die Fußball-Sensation
"Die Fußball-Sensation: Hannover 96 ist Meister! Kaiserslautern wurde mit 5:1 Toren überrannt." So oder ähnlich titelten am Montag, den 24. Mai 1954, fast alle deutschen Tageszeitungen in großen Lettern. Der überraschende Erfolg vor 80.000 Zuschauern wurde als größte Sensation seit 1938 beschrieben, als 96 die Übermannschaft von Schalke 04 in zwei Endspielen besiegte. Die Erfolgsgeschichte 1954 hat ihre Wurzeln zwei Jahre früher: Im Juli 1952 wird in Hannover der bis dahin eher unbekannte "Fiffi" Kronsbein als neuer Trainer vorgestellt. Der Erfolg gibt den Verantwortlichen Recht: Hannover 96 muss einmal nicht um den Klassenerhalt bangen, sondern beendet die Saison in der Oberliga Nord auf einem sicheren siebten Rang.
Sechs Vereine in der Vorrunde
Auch zu Beginn der Saison 1953/54 gelingt 96 mit einem Sieg gegen den übermächtigen HSV eine Überraschung. Dies war der Anfang einer fast nahtlosen Siegesserie, die 96 vier Spieltage vor Saisonende die Nordmeisterschaft sichert. Es folgte die Endrunde um die Deutsche Meisterschaft, die 96 erstmals seit Kriegsende erreichte. Aufgrund der bevorstehenden Weltmeisterschaft in der Schweiz spielten nur sechs Vereine in zwei Gruppen um den Einzug ins Finale. In der Gruppe A traf 96 am 1. Mai im Olympiastadion auf den Berliner SV 92, der knapp mit 2:1 besiegt wurde, und am 16.5. in Düsseldorf auf den VfB Stuttgart, gegen den ein klares 3:1 gelang.
Kaiserslautern ist Finalgegner
"Wir Spielerfrauen erhielten nach dem Sieg über den Südmeister zum ersten Mal die Erlaubnis des Trainers, mit unseren Männern im Mannschaftsbus nach Hannover zurückzufahren", erinnert sich Leni Tkotz noch heute an den Sieg gegen die Schwaben: "Im Bus hörten wir dann im Radio, dass im Endspiel der übermächtige 1. FC Kaiserslautern unser Gegner sein würde. Bei einer letzten Rast in Bad Eilsen vor Hannover schwor uns Trainer Fiffi Kronsbein auf die Woche bis zum Finale in Hamburg ein und wir erhielten genaue Instruktionen", erzählte der damalige Stürmer Hannes Tkotz über die erfolgreichste Woche von 96.
Prominenter Besuch im Mannschaftsquartier
Die Mannschaft reiste bereits am Freitag in das beschauliche Bendestorf in der Nordheide. Obwohl das Quartier geheim gehalten wurde, erhielt die 96-Mannschaft dort doch prominenten Besuch – die Schauspieler Max Walter Sieg, Hanns Lothar und Günther Neutze besuchten das Team um Kapitän Werner Müller. "Ich lag mit ihm auf einem Zimmer und wir haben versucht, uns abzulenken und nicht so viel an das Endspiel zu denken. Aber es war klar – mein Zimmerkollege musste Fritz Walter, den damals besten deutschen Spieler, ausschalten. Fiffi hatte uns viel Schlaf verordnet, aber das war gar nicht so einfach“, erinnert sich 96-Stimmungskanone Hannes Tkotz an den Aufenthalt im bekannten Filmort.
Tolle Ankunft in der Hansestadt
"Dann kam die letzte Besprechung vor der Abfahrt zum Finale. Danach fuhren wir ab in Richtung Hamburg. Die Stadt war voller erwartungsfroher Menschen und ab den Elbbrücken – den Elbtunnel gab es ja noch nicht – wurden wir von einer Polizeieskorte zum Volksparkstadion geleitet. Wir kamen dort kurz nach den Roten Teufeln – etwa 90 Minuten vor dem Anpfiff – an. Die Spieler des FCK wurden von ihren Anhängern stürmisch bedrängt. Das kann man sich kaum vorstellen. 60 Minuten vor dem Anpfiff gingen wir auf den Platz zum Aufwärmen raus. Ich war so nervös, dass ich gefühlte siebenmal auf die Toilette ging. Ich weiß noch genau, wie ruhig mir die FCK-Spieler erschienen und ich erinnere mich noch ganz genau daran, dass sie alle unrasiert waren. Vor dem Anpfiff kam Bundestrainer Sepp Herberger in unsere Kabine. Er sah uns alle zum ersten Mal, begrüßte jeden Spieler kurz und sprach dann mit seinem Schüler Fiffi Kronsbein. Dann ging es raus zum Spiel in das prall gefüllte Stadion", berichtet Hannes Tkotz.
Frühes Gegentor verunsichert 96 nicht
"Die Stimmung auf den Rängen war hervorragend. Wir spielten mit: Hans Krämer, Helmut Geruschke, Hannes Kirk, Werner Müller, Heinz Bothe, Rolf Gehrcke, Heinz Wewetzer, Rolf Paetz, Clemens Zielinski, Helmut Kruhl und mir. Wir mussten auf unsere weinroten Trikots verzichten und traten im grünen Jersey, weißen Hosen und schwarzen Stutzen, also in den Vereinsfarben, an. Wir griffen sofort nach dem Anstoß an und prüften FCK-Keeper Hölz. Dann ein Schock für uns: Schäffler traf aus spitzem Winkel in unser Tor – dabei wollten wir einen schnellen Gegentreffer um jeden Preis vermeiden. Aber wir hatten Glück: Schiedsrichter Schmetzer erkannte das Tor nicht an. Aber nach 13 Minuten passierte es dann doch: Scheffler flankte in unseren Strafraum. Der Ball wurde abgewehrt und aus dem Hinterhalt zog Horst Eckel ab. Der Ball schlug unhaltbar für Keeper Hänschen Krämer zum 0:1 ein", erinnert sich Hannes Tkotz an den Beginn des Finales.
Viele Chancen zum Ausgleich
Die Pfälzer drängten danach auf einen weiteren Treffer, um eine schnelle Entscheidung herbeizuführen und waren damit fast erfolgreich. Erst in letzter Sekunde konnte Hans Krämer einen Schuss von Ottmar Walter ablenken. Doch 96 ließ sich nicht beirren und fand wieder in die Form der Anfangsphase zurück. Chancen zum Ausgleich ergaben sich durch Rolf Paetz und Clemens Zielinski. Nach 26 Minuten vergab Stürmer Hans Tkotz eine hundertprozentige Torchance: "Frei vor dem Tor habe ich es nicht geschafft, den Ausgleich zu erzielen. Ich bekam den Ball und wollte ihn reinschieben statt zu schießen. Doch Nationalspieler Kohlmeyer rauschte von links heran und klärte den Ball zur Ecke. Mann, was habe ich mich geärgert", beschreibt der Stürmer die Szene.
Wichtiger Treffer vor der Pause
Das Spiel gewann an Spannung und wog hin und her. Kurz vor Ende der ersten Halbzeit dann großer Jubel auf Seiten von 96: Hannes Tkotz zog aus 16 Metern ab und traf zum verdienten 1:1-Ausgleich. "Fritz Walter hatte gepatzt, den Ball an Werner Müller verloren. Mein Zimmernachbar spielte mich an und ich hielt aus 18 Metern drauf. Keeper Hölz kam zwar noch mit den Fingerspitzen dran, aber das Ding war drin. Dieses Gefühl werde ich nie vergessen", beschreibt Tkotz den Knackpunkt des Spiels kurz vor der Halbzeit. "In der Kabine herrschte Ruhe. Fiffi war nervös und rannte aufgeregt von einer Ecke in die nächste. Er motivierte uns: Macht weiter so! Ihr habt Sie im Sack! Noch ein Gegentor und sie brechen ein! Wir Spieler waren wie in Trance. Einige hatten mein Tor noch nicht realisiert, aber wir glaubten jetzt an unsere Chance. Wir waren optimistisch, selbstbewusst und merkten keine Erschöpfung", so die Erzählung des Stürmers über die Stimmung beim Pausentee.
96 spielte sich in einen Rausch
Nach der Halbzeitpause kamen die Niedersachen motiviert aus der Kabine und spürten die nervliche Anspannung des Gegners. In der 47. Minute kam ein harmloser Roller von Rolf Paetz in den Lauterer Strafraum und wird von Kohlmeyer unglücklich ins eigene Tor gelenkt. Es steht 2:1 für Hannover 96. Die Roten spielten sich in einen Rausch, sodass das 3:1 eine Frage der Zeit war. In der 77. Spielminute jubelten die 96-Anhänger, als Heinz Wewetzer nach einem gelungenen Dribbling über die rechte Seite auf 3:1 erhöhte. "Ich habe zu meiner Tribünennachbarin Inge Krämer noch gesagt: Kneif mich mal, das glaube ich einfach nicht", beschreibt Leni Tkotz die Stimmung unter den 96-Anhängern. Das "Wunder von Hannover" ist perfekt, als Heinz Wewetzer drei Minuten später die Latte traf und Helmut Kruhl den Abpraller zum 4:1 verwandelte, fühlen sich auch die Akteure auf dem Platz sicher: "Wir hatten ordentlich nachgelegt und man merkte den FCK-Spielern an, dass sie nicht mehr an sich glaubten. Der FCK hat dann noch Glück gehabt. Hätte ihr Torwart nicht so gut gehalten, hätte es auch 8:1 für uns ausgehen können", ist sich Hannes Tkotz ganz sicher. Vier Minuten vor Schluss hatten die Pfälzer das Finale endgültig aufgegeben, Rolf Paetz sorgte per Kopf für den 5:1 Endstand. Das "Wunder von Hannover" war perfekt.
Unmut bei der Ehrung
"Dieser Titelgewinn hat mein Leben und das meiner Mitspieler sicher verändert. 96 war keine graue Maus mehr. Wir haben aus heiterem Himmel die Sensation geschafft. Reich wurden wir durch den überraschenden Erfolg aber nicht. Es gab eine Brutto-Siegprämie von 1000 Mark und einige Geschenke von Sponsoren. Jeder von uns erhielt unter anderem eine Reise nach Borkum und nach Waging am See. Nur Trainer Kronsbein erhielt einen VW, denn er hatte in seinem Vertrag je 5000 DM Prämie für die Norddeutsche und die Deutsche Meisterschaft festschreiben lassen," beschreibt Hannes Tkotz das Gefühl der Meister.