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Schlammschlacht in Hildesheim, zwei 96-Eigentore und ein Torpfostenbruch: Die unglaubliche, aber wahre Geschichte des Oberliga-Spiels aus dem Jahr 1962, die sich heute vor 55 Jahren jährt.

/ Profis

Archiv entschlüsselt das Rätsel
Als Gladbachs Herbert Laumen am 3. April 1971 beim Bundesligaspiel gegen Werder Bremen den Torpfosten brechen ließ, hielt die ganze Fußballnation den Atem an. Der "Pfostenbruch vom Bökelberg", der Gladbach durch den daraus resultierenden Spielabbruch fast die Meisterschaft gekostet hätte, wurde aufrgrund der TV-Bilder zu einer Legende. Doch wer bisher dachte, so etwas habe es vorher noch nie gegeben, der irrt. Nach einigen Hinweisen von ehemaligen 96-Spielern hat die Redaktion jetzt die Geschichte eines älteren "zerstörten" Tores mit 96-Beteiligung in den Archiven entstauben können. Einige 96er erinnerten sich, dass sie selbst bei einem Spiel mit Pfostenbruch aktiv gewesen waren. Aber anders als in Gladbach war damals noch keine TV-Kamera live vor Ort dabei.

Schlammschlacht in Hildesheim
Am 7. Januar 1962 trat Hannover 96 in der Oberliga Nord – der damals höchsten deutschen Spielklasse – beim VfV Hildesheim an. 7.000 Zuschauer wollten um 14 Uhr das Nachbarschaftsderby, das sich zu einer Schlammschlacht entwickeln sollte, sehen. Die Freiwillige Feuerwehr hatte am Morgen den Platz im Hildesheimer Stadion in mühseliger Arbeit von zahllosen Wasserpfützen befreit. Torf und Boden wurden extra auf den nassen Rasen aufgetragen, um das Spiel überhaupt zu ermöglichen.

96 fand sich anfangs bei diesen schwierigen Platzverhältnissen besser zurecht, auch wenn dem Zufall durch die Wassermassen Tür und Tor geöffnet war. So war das Schlagen langer und hoher Bälle die ausgegebene Marschroute von Trainer Hannes Kirk, der in diesem Spiel das Oberliga-Team von 96 erstmals betreute. Bis zur 41. Minute hielt sich sein Team erfolgreich daran. Doch dann schoss der Hildesheimer Winkelmann den Ball aus dem Gewühl heraus in Richtung Tor und Nix fälschte den Ball unhaltbar ins eigene Netz ab. Kurz darauf kam es zu jener kuriosen Szene, die Schiedsrichter Walter Höfel aus Lengede in seiner offiziellen Stellungnahme an den Norddeutschen Fußball-Verband im Spielbericht sehr genau protokolliert hat. Und diese klingt für heutige Fußballer-Ohren unglaublich:

Auf schwer bespielbarem Untergrund standen sich 96 und der VfV Hildesheim gegenüber.

„Genau nach 43 Spielminuten der 1. Halbzeit gab es nach einem Eckstoß für den VfV, der erneut zur Ecke abgewehrt wurde, einen Zusammenprall mehrerer Spieler unmittelbar vor oder auf der Torlinie des Tores von Hannover 96. Es fielen 2 oder 3 Spieler sehr heftig ins Tornetz, so dass der linke Torpfosten etwa 5 cm über der Erde abbrach. Da dieser Schaden nicht in ganz kurzer Zeit behoben werden konnte, rief ich die Spielführer Leo Zimmermann (Hildesheim) und Hubert Wiezorek (Hannover 96) zu mir und machte den Vorschlag, sofort in die Kabinen zu gehen und nach erfolgter Instandsetzung des Tores die fehlenden 2 Minuten der 1. Halbzeit zu spielen und danach die Seiten ohne nochmalige Pause zu wechseln (Diese Maßnahme hielt ich in Anbetracht des nassen und schlammigen Bodens und wegen der bei vielen Spielern nassen Spieltracht für ratsam). Beide erklärten sich damit einverstanden. Nach einer Gesamtpause von etwa 20 Minuten wurde das Spiel mit Eckstoss für Hildesheim fortgesetzt.“

Referee erinnert sich
Den Gastgebern gelang die Torreparatur rechtzeitig und so konnte das Spiel mit einem geflickten Pfosten fortgesetzt werden. "Die Hildesheimer hatten auf der Platzanlage glücklicherweise ausreichend Material vorrätig und es gelang ihnen, den zerstörten Pfosten wieder so herzustellen, dass eine Spielfortsetzung ohne Gefahr für die Aktiven möglich war. Man hat das Tor sehr fachmännisch mit Nägeln und Holz repariert", gab der damalige Unparteiische Walter Höfel zu Protokoll. "Ich habe dann das Spiel mit Eckball für Hildesheim fortgesetzt."

Erst Reparatur – dann zweites Eigentor
Und ausgerechnet im Anschluss an diesen verspätet ausgeführten Eckball kam es zur 2:0-Führung für die Gastgeber – Torschütze war wieder der 96er Nix – sein zweites Eigentor an diesem denkwürdigen, nasskalten Tag. Wenig später wurden die Seiten, wie angekündigt ohne Pause, gewechselt. 96-Stürmer Hartz gelang in der 70. Minute per Fernschuss noch der Anschlusstreffer. Doch bereits 180 Sekunden später erzielte der Hildesheimer Träger den 3:1-Endstand.

"Meine persönliche Fußballgeschichte"
"Unglücksrabe" Nix kann sich noch heute genau an dieses verrückte Spiel erinnern. "In der Tat geht dieses Spiel für mich als damals 20-Jähriger in meine persönliche Fußballer-Geschichte ein. Waren es doch nicht nur ein, sondern gleich zwei Eigentore in einem Spiel – und diese auch noch innerhalb von knapp fünf Spielminuten. Dann brach noch der Pfosten und das Spiel wurde fortgesetzt.

Welcher Fußballer kann das schon über sich selbst berichten", fragt der ehemalige Mittelfeldspieler zu Recht. "Der Rasen war total aufgeweicht, es war rutschig und die 18er Stollen reichten kaum aus. Es war eines meiner ersten Spiele in der Oberliga Nord und trotz zweier Eigentore bekam ich im KICKER beim damaligen Spiel die Note Gut", erinnert sich der passionierte Tennisspieler noch genau an diese kuriosen Ereignisse.

Und weiter: "Der Bruch des Pfostens kam für uns alle total überraschend. Ich kann mich noch an ein Gemenge im Torraum erinnern und glaube auch, dass einige Aktive in diesem Sturm-Abwehr-Gewirr das Netz oder den morschen Pfosten berührten. Die Entscheidung von Schiedsrichter Höfel zur Torreparatur akzeptierten wir – heute wäre so etwas wohl kaum denkbar. Der Pfosten wurde nicht ausgewechselt, sondern schlichtweg mit einer Ersatzbefestigung verbunden. So hielt er bis zum Spielende und vielleicht auch länger." -s o der unglaubliche Bericht des ehemaligen 96-Spielers, der bis zu seiner Pensionierung ls Rektor einer Grund- und Hauptschule in Buchholz bei Hamburg tätig war. Auch die Erinnerung an seinen zweiten Tor"erfolg" ist Nix noch nach Jahren sehr präsent: "Mein zweites Eigentor gleich nach der Spielfortsetzung war einfach ein klasse Spannschuss, der unhaltbar für meinen Torhüter knapp neben dem nicht reparierten Pfosten einschlug", erinnert sich der heutige Hobbygärtner und fügt lachend hinzu "Ich weiß nicht, ob auch dieser Pfosten gebrochen wäre, hätte mein ungewöhnlicher Torschuss diesen direkt getroffen."

Udo Nix (links) erinnert sich noch heute an das kuriose Spiel.

Keeper Isendahl erinnert sich
Dass dieser Schuss unhaltbar war, bestätigt auch 96-Keeper Helmut Isendahl: "Udo Nix war nach den beiden Eigentoren sehr geknickt – und ich konnte diese beiden Schüsse nicht parieren. Er wurde trotzdem nicht kritisiert, denn er hatte sehr gut gespielt." Die genaue Ursache für den kurz zuvor zussammengebrochenen Pfosten konnte Isendahl nicht ausmachen. "Die Spieler, die wegen meiner Parade nicht an den Ball kamen, sorgten für das splitternde Holz. Da ich den Ball beobachtet habe, kann ich nicht mit Gewissheit sagen, wer und was genau der Auslöser für den Pfostenbruch war", der nach eigenem Bekunden auch der einzige in seiner gesamten Karriere bleiben sollte. Wirkliches Vertrauen in die improvisierte Handwerksleistung hatte auch der heute passionierte Golfer nicht. "Ich kann mich zwar nicht mehr recht daran erinnern, wie der Pfosten repariert wurde. Aber ich weiß noch, dass wir nach der Reparatur am selbigen – damals noch viereckig, weiß und aus Holz – gerüttelt haben, um zu sehen, ob er auch wirklich standfest war", schildert der promovierte Bauingenieur den Vorgang aus seiner Sicht.

Wie sich seit der damaligen Zeit das mediale Interesse an solchen ungewöhnlichen sportlichen Randnotizen gewandelt hat, ist den weiteren Worten Isendahls zu entnehmen: "Das kaputte Tor, das wieder aufgebaut wurde, war damals ein echtes Kuriosum. Aber durch die Reparatur konnte der Unparteiische den Abbruch vermeiden, gegen den wir angesichts des Spielstandes eigentlich nichts einzuwenden gehabt hätten“, berichtet der heute in Wiesbaden lebende Keeper weiter. "Die mediale Resonanz war nicht nennenswert, obwohl die Oberliga Nord 1962 ja die höchste deutsche Spielklasse war. Man mag sich einmal vorstellen, was heute die Medien aus dieser Geschichte machen würden.
Beim von Günther Jauch und Marcel Reif live kommentierten Champions League-Halbfinalspiel Real Madrid gegen Borussia Dortmund im April 1998 habe ich zuletzt an den Pfostenbruch in meiner Zeit bei Hannover 96 denken müssen."

Oberliga-Duelle mit Brisanz
96-Verteidiger Manfred Fahrtmann, der auf dem einzigen von diesem Ereignis noch bekannten Foto im Vordergrund zu erkennen ist (siehe Foto oben), kann seinen Mitspielern von damals nur beipflichten: "Die Spiele gegen den VfV Hildesheim in der Oberliga waren immer voller Brisanz – selbst Partien gegen Arminia Hannover wurden nicht mit einer so hohen Rivalität ausgetragen. Gegen Hildesheim wurde immer volle Pulle gespielt." Auch das Duell im Januar 1962 bestätigte dieses. Es hatte alles zu bieten: Pfostenbruch, Reparatur, vier Tore, davon ein doppeltes Eigentor und auch noch einen Platzverweis für einen Hildesheimer. "Letztlich war ich froh, wie auf dem Foto auch deutlich sichtbar, dass beim Pfostenbruch niemand zu Schaden gekommen ist", beschreibt der heute überwiegend auf Fuerteventura lebende ehemalige 96er seine Erinnerungen.

Anmerkung der Redaktion
Bei den Recherchen zu dem Pfostenbruchspiel mit 96-Beteiligung hat die Redaktion erstaunt von zahlreichen uns bisher unbekannten "kaputten Toren" erfahren. Einige davon gab es bereits vor dem geschilderten 96-Spiel in den 50er-Jahren. Aber in allen der Redaktion bekannt gewordenen Fällen wurden diese Spiele als Folge abgebrochen. Daher gehen wir derzeit weiterhin davon aus, dass die Partie am 7. Januar 1962 mit 96-Beteiligung das erste Spiel war, dass trotz "morschem Holz" fortgesetzt wurde.Hinweise und Informationen unserer Leser zu älteren Torunfällen mit Spielfortsetzung nimmt die Redaktion gerne unter redaktion@hannover96.de entgegen.
dk  

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