In der Öffentlichkeit hatte niemand etwas geahnt. Dort sah man den Ausnahmetorwart Robert Enke, Rückhalt von Hannover 96, ein Keeper, dem es regelmäßig gelang, seiner Mannschaft mit seinen Paraden Spiele zu gewinnen und Punkte festzuhalten. In der Kabine war Enke hoch anerkannt und beliebt. Das Wort des unumstrittenen Kapitäns zählte. Neunmal trug er das Trikot der deutschen Nationalmannschaft – durch seine kontinuierlich starken Leistungen und seine Verlässlichkeit gehörte er zum Anwärterkreis von Bundestrainer Joachim Löw für den Platz zwischen den Pfosten der DFB-Elf. Nicht wenige sahen ihn als deutsche Nummer 1 bei der Weltmeisterschaft 2010.
Eine Persönlichkeit auf und neben dem Platz
Enke war eine Persönlichkeit auf und neben dem Platz. Ein feinfühliger Mensch, der sich für den Tierschutz einsetzte, ein liebevoller Ehemann und Vater von Adoptivtochter Leila. Bescheiden, zurückhaltend, zuvorkommend – mit diesen Charaktereigenschaften wollte er so gar nicht zum Stereotyp des Bundesliga-Profis im bunten Fußballzirkus passen. Und nicht zuletzt dafür wurde er in Hannover und weit darüber hinaus geschätzt und geachtet.
Doch Robert Enke litt an einer heimtückischen Krankheit. Über Jahre kämpfte er mit schweren Depressionen. Vor der Öffentlichkeit hielt er dies verborgen. Nur sein engster Kreis wusste davon. Psychische Erkrankungen galten in weiten Teilen der Bevölkerung als Tabu-Thema – als "Schwäche". Das Bild des unfehlbaren Leistungssportlers, er sah es gefährdet. So kämpfte er im Verborgenen. Seite an Seite mit seiner Frau Teresa. Gemeinsam mit ihr hatte Robert den Verlust der gemeinsamen leiblichen Tochter Lara verarbeitet, die im August 2004 mit einem schweren Herzfehler zur Welt gekommen und nur zwei Jahre alt geworden war. Gemeinsam hatten beide schon einmal eine Phase schwerer Depression Enkes durchstanden.
Mit Liebe hatten beide vieles geschafft. Doch diesen Kampf konnten sie nicht gewinnen.
Enttabuisierung mentaler Krankheiten als Lebensaufgabe
Am 10. November 2009 nahm Robert Enke sich das Leben. Noch am selben Abend verbreitete sich die schreckliche Nachricht wie ein Lauffeuer – in Hannover, in Deutschland, in der gesamten (Fußball-)Welt. Es mögen die schwersten Momente ihres Lebens gewesen sein, in denen Teresa die Stärke besaß, sich auf der Pressekonferenz am Folgetag zu erklären. Auf ihren eigenen Wunsch – sie wollte Spekulationen verhindern, Klarheit schaffen, aufklären.
So kann man diese Pressekonferenz vielleicht als den ersten Schritt eines Weges betrachten, den Teresa Enke seither mit bewundernswerter Kraft, Ausdauer und Konsequenz begeht. Die Arbeit zur Enttabuisierung mentaler Krankheiten ist ihr zur Lebensaufgabe geworden. Die Vorsitzende der von Hannover 96, der Deutschen Fußball Liga und dem Deutschen Fußball-Bund gegründeten Robert-Enke-Stiftung leistet mit ihren Mitarbeitenden unermüdlich wichtige Arbeit und ruft Projekte ins Leben, um Betroffenen schnelle und unkomplizierte Hilfe zu ermöglichen. Mittlerweile sind Teresa Enke und ihr Team auch über das Umfeld des Sports hinaus aktiv, um Menschen zu helfen.
So steht der 10. November im Jahr 2023 einmal mehr im Zeichen der Erinnerung an Robert Enke, an seine Leistungen, seine Verdienste und seine außerordentliche Persönlichkeit. Er steht im Zeichen der Trauer und der Tragödie seines Todes. Und er steht im Zeichen des Auftrags, die diese Tragödie uns allen erteilt hat: Gehen wir offen mit uns selbst und miteinander um. Achten wir auf unsere mentale Gesundheit. Pflegen wir einen natürlichen Umgang mit der Depression, einer schwerwiegenden und ernstzunehmenden psychischen Krankheit – aber einer behandelbaren.
Lassen wir den heutigen – und nicht nur den heutigen – Tag im Zeichen des Leitsatzes der Robert-Enke-Stiftung stehen, der ganz bewusst als eine positive Botschaft formuliert ist: "Wir halten das Leben fest." Handeln wir so. Halten wir es fest.
hec