NIEMALSALLEIN

 

Hannover.

Die Legende kehrt zurück. Nach Hannover. Heute. Man sieht den ehemaligen Fußballprofi Carsten Linke, dem die Fans zu seiner aktiven Zeit bei Hannover 96 den Beinamen Fußballgott verpasst haben. Er sitzt in einem Werbefilmchen im Halbdunkel und räsoniert über rosarote Tradition und weinrote Trikots. Im Hintergrund erklingt ein Geigenteppich. „Weinrot ist Traditionsmarke bei 96 – so hat alles begonnen“, sagt der Fußballer. Es kommen noch andere frühere Spieler wie Jörg Sievers, ein altgedienter Torwart, oder Rekordtorschütze Hans Siemensmeyer zu Wort. Sie erzählen von früher, und von der Farbe, die angeblich irgendwie immer dabei war: Weinrot. Alle sind ganz ergriffen.

Der pathosgeladene Nostalgieclip „Rückkehr einer Legende“ auf der Homepage des Fußballklubs soll die neue Arbeitskleidung der Erstligamannschaft bewerben, die heute der Öffentlichkeit vorgestellt wird. So macht man das heute. Nicht nur mit neuen Spielern. Auch mit neuen Trikots. Denn: Ab morgen wird es verkauft. An jeden, der es haben will. Diskutiert wird schon lange. Vor allem über den Farbwechsel von Knall- auf Weinrot. Geht das so einfach? Ist das dann noch derselbe Verein? Für Fußballfans, und davon gibt es in Deutschland viele Millionen, ist das Trikot zum einen so etwas wie eine Uniform. Es unterscheidet Freund und Feind, es zeigt verlässlich an, wer für einen ist und wer nicht. Zugleich ist das Jersey aber mehr. Es ist der Schrein aller Fußballfans.

Es ist das Gesicht des Vereins und der allgegenwärtige Talisman. Gelegentlich wird das Trikot sogar angebetet. Nur eines unterscheidet einen Gott ganz augenscheinlich von den Hemden: Einen Gott wechselt man nicht ständig. Bei den Trikots ist das anders. Jahr für Jahr verändern die Bundesligaklubs ihre Farbtöne, Schnitte und Muster. Und Jahr für Jahr müssen Millionen Fans sich wieder auf ein neues Bild einschwören, es bedingungslos lieben, besingen, bejubeln. Und kaufen. Denn darum geht es beim jährlichen Trikottausch natürlich auch. Eltern von fußballbegeisterten Kindern erkennen den Saisonauftakt daran, dass sie ihnen wieder einmal wegen des neuen Trikots von Bayern, Schalke oder dem HSV in den Ohren liegen. 60 bis 70 Euro kosten die sogenannten Replika, je nach Hersteller und Verein. Im Millionenmarkt Bundesliga ist das Jersey in den vergangenen Jahren zum wichtigsten Fanutensil und Marketinginstrument geworden. Allein die großen europäischen Vereine, darunter Bayern München, aber auch die Nationalmannschaft, verkaufen jedes Jahr angeblich mehr als eine Million Jerseys. Das ist nur möglich, wenn man mindestens ein neues Trikot auf den Markt schmeißt.

Meistens gibt es sogar gleich drei Modelle: Für Heimspiele, für Auswärtsspiele – und ein drittes, falls sich die Farben mit denen des Gegners doppeln. „Kaufanreize schaffen, die Fans nicht langweilen“, nennt das Ron Wiegand. Der Marketingstratege beschäftigt sich das ganze Jahr über mit Trikotfarben, Schnitten und dem Verkauf der Sportkleidung. Er ist Leiter des Ausrüstergeschäfts bei Sportfive, einem der weltweit größten Sportvermarkter aus Hamburg, und berät gleich mehrere Bundesligaklubs bei der Trikotwahl. Auch Hannover 96. Der Weg zum neuen Trikot sei ein langwieriger Prozess. Anderthalb Jahre dauert es von den ersten Ideen bis zum ausgelieferten Shirt. Es gibt viele Parteien, die zufriedengestellt werden wollen. Da ist der Sponsor, der seinen Namen gut präsentiert sehen will. Der Ausrüster, der seine Designvorschläge macht. Und der Verein, der mit jedem Trikotwechsel seine Marke aufs Spiel setzt. „Fans sind beim Trikot ungeheuer sensibel“, sagt Wiegand. Es ist ein riskantes, aber eben auch ein sehr lukratives Wagnis.

Im Internet kann man das gut mitverfolgen. Seit Wochen spekulieren dort Fußballbegeisterte quer durch die Republik über die neuen Trikots ihrer Mannschaften. Sie stellen Bilder von eigens gestalteten Entwürfen von Fantasietrikots in die Foren ein, sie schimpfen über neue Farbtöne oder wie bei Hertha BSC über zackige Applikationen am neuen Trikot, die für manche Anhänger Ähnlichkeit mit SS-Runen haben, für manche nur Vitalität ausdrücken. Die Trikotfrage war schon immer eine Glaubensfrage. Ein echter Fußballfan verzeiht ein schlechtes Spiel, sogar einen Abstieg nimmt er mannhaft hin. Aber das falsche Trikot, die falschen Vereinsfarben, das Verraten der eigenen Tradition, das kann die Fanseele zum Kochen bringen. Die TUI, der große Sponsor von 96, ist vor Jahren auf die irrwitzige Idee verfallen, die Roten in Gelb-Blau auflaufen lassen zu wollen. Die Fans tobten. Gelb und Blau, das sind die Farben des ewigen Rivalen aus Braunschweig. Die TUI hat den Entwurf wieder verwerfen müssen. Die Bundesligavereine gehen deshalb normalerweise planvoll vor. Sie appellieren an die Tradition. Björn Jaeger, beim Sportartikelhersteller adidas für das Trikotmarketing zuständig, erklärt diesen Prozess am Beispiel des neuen Bayern-Trikots, das traditionsgemäß schon im letzten Spiel der Bayern-Saison vorgestellt wurde. „An dem Trikot haben wir 18 Monate gearbeitet“, erklärt er. Herausgekommen ist ein rotes Shirt mit weißen Streifen – nichts Ungewöhnliches für Bayern. Und doch ist auch dies etwas Besonderes. Man könnte sagen: eine Legende. Denn das Design ist von den Trikots vor genau 100 Jahren übernommen worden, erklärt Jaeger.

„Zum 110. Geburtstag des Vereins wollten wir etwas Besonderes machen.“ Hierfür studierten die adidas-Designer alte Film- und Fotoaufnahmen, stöberten in der Klubhistorie, bis sie auf die Trikots von 1910 stießen. „Meistens haben wir erst eine Geschichte, und danach gestalten wir erst das Trikot.“ Tradition verschafft Glaubwürdigkeit. Und Glaubwürdigkeit ist ein Kaufanreiz, genauso wie der Name eines Stars auf dem Rücken. Hartnäckig hält sich das Gerücht, dass Vereine die horrenden Ablösesummen für einige Spieler allein durch den Verkauf von Trikots mit dem Namen des Stars wieder hereinholten. „Das ist eine Mär“, sagt Peter Rohlmann von der Firma PR Marketing, die seit Jahren die Bundesligaklubs für das „Fanartikel-Barometer“ befragt. „Bis zu acht Prozent der Gesamteinnahmen“ eines Vereins kommen nach Meinung Rohlmanns über das Marketing. Allerdings schwanke der Verkaufserfolg stark. Seiner Meinung nach ist der Starfaktor nur einer von vielen, die die Verkaufszahlen beeinflussen. Dazu kommt der Erfolg der Mannschaft, der Einzugsbereich und eben auch das Design des Trikots. In Deutschland ist Bayern München klarer Marktführer, aber auch Traditionsvereine wie der HSV, Dortmund, Schalke und Stuttgart sind vorn dabei. Klubs wie Wolfsburg und Hoffenheim sind eher am unteren Ende der Liga. Hannover 96 verkauft nach Angaben von Klubpräsident Martin Kind 20?000 bis 25?000 Fantrikots, 60 Prozent davon noch vor dem ersten Spieltag. „Von dem, was wir pro Saison bekommen, können wir keinen Spieler kaufen“, sagt Kind. Die Zahlen decken sich in etwa mit der Abverkaufsstatistik im Karstadt-Sporthaus in Hannover – mit dem Unterschied, dass die Trikots der heimischen 96-er dort natürlich vor denen der Bayern und all der anderen liegen. Abteilungsleiter Bernd Fischer bemerkt aber auch, dass ein Kauf oft eine Bauchentscheidung sei – wie im Falle der Nationalmannschaft.

Deren Trikots sind seit Wochen ein Renner. Doch nach der Niederlage gegen Spanien brach der Verkauf zwei Tage abrupt ab. Fischer drückt es so aus: „Hier müssen einfach Emotionen rein!“ Bei der WM spielt das Design wohl nur eine untergeordnete Rolle, entscheidend ist auch beim Trikotverkauf „aufm Platz“. Mal hatte die DFB-Elf ein Kordelbändchen (1954), mal einen schwarzen Hemdkragen und die drei adidas-Streifen auf dem Ärmel (1982). Eine echte Revolution gab es 1990: Ein breiter schwarz-rot-goldener Zickzack-Streifen zog sich über die Brust – für manche das hässlichste DFB-Trikot aller Zeiten. Aber eben ein Weltmeistertrikot. Diesmal ist das Nationalteam wieder etwas zurückhaltender geworden. Modebewusster. Das ist auch notwendig. Allein schon, weil gerade die WM zeigt: Fußball wird immer weiblicher. Schon heute ist im Stadion im Schnitt jeder fünfte Zuschauer eine Frau. Und Frauen wollen ein Shirt, was ihnen auch passt – tailliert, schick, farblich abgestimmt.

„Es ist wichtig, dass man das Shirt auch kombinieren kann, die Farben sollten modisch in die Zeit passen“, sagt Marketingexperte Rohlmann. Längst folgt das Kleidungsdesign in der Branche modischen Aspekten, anders bekommt man in einer markenorientierten Mediengesellschaft, in der schon Kinder ein ausgeprägtes Modebewusstsein haben, kein Bein mehr auf die Erde. Die alten Baumwollhemden, einfarbig mit abgesetzten Bündchen, gibt es nicht mehr. „Fußballspieler sind Stars. Einen Star in einem altmodischen Trikot zu präsentieren, das geht nicht mehr“, sagt Julia Schnitzer, Dekanin für Modedesign an der Hochschule für Mediadesign Berlin. Die Professorin sitzt einer Jury vor, die jedes Jahr die Bundesligatrikots nach Kriterien wie Schnitt, Material und Zweckmäßigkeit beurteilt. Leverkusen und Frankfurt waren die Trikotmeister der vergangenen zwei Jahre. Das Bayern-Trikot des Jahres 2007 mit einem rot-weißen „undynamischen“ Querstreifen über der Brust gefiel Schnitzer nicht. „Die Spieler sahen darin aus wie Zigarettenschachteln der achtziger Jahre.“ Der ehemalige Fußballprofi Michael Tarnat, der sowohl für Hannover 96 als auch für Bayern München gegen den Ball getreten hat, konnte sich immer noch nicht von den vielen Trikots verabschieden. „Ich habe die Trikots von allen Vereinen, bei denen ich in meiner Karriere gespielt habe, aufgehoben“, erzählt der Münchener. Hinzu kämen noch diejenigen Shirts, die er mit den Gegnern nach dem Spiel getauscht habe. „In den letzten Jahren meiner Karriere war das Trikottauschen oft eine Auftragsarbeit von meinem Sohn Niclas. Gerade, wenn ich mit dem FC Bayern München in der Champions League gegen große Stars gespielt habe.“ Auch auf das neue Trikot seines letzten Arbeitgebers haben die Tarnats schon ein Auge geworfen. „Wir verfolgen Hannover 96 von München aus mit Interesse, und mein Niklas hat mir schon den Auftrag erteilt, von den neuen Trikots in Weinrot gleich eins zu besorgen.“ Wahrscheinlich bekommt Fußballmillionär Tarnat sein Jersey sogar kostenlos.

 

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